Der sehr kleine Salzwedeler Kneipentest

Salzwedel ist für die Freunde des gesellig genossenen Bieres – und ich wünschte, ich könnte anderes berichten – ein trockenes Pflaster, vergleichbar mit dem Bar- und Kneipenangebot der Wüste Gobi. Im Innenstadtbereich gibt es zwar drei relevante Kneipen: Zur grünen Laterne, Lutzes Butze und Grazy World. Wer allerdings auf die verrückte Idee kommt, am Sonntag, am Montag, am Dienstag und am Mittwoch dort ein Bier trinken zu wollen, der muß unbesoffener Dinge wieder nach Hause ziehen. In anderen Orten sprechen sich Gasthäuser ab, wann sie ihren Ruhetag nehmen, sodaß man auch montags noch, wenn sich der kleine Durst bemerkbar machte, einkehren könnte, hier scheint die Bundesdrogenbeauftragte ihre besten Verbündeten in den Wirten selbst gefunden zu haben. Die Salzwedeler Ehefrauen werden es ihnen danken, daß der Alte sich nur an drei Tagen bekesseln kann. Dabei wartet Lutzes Butze mit kessen, vielleicht nicht ganz auf der Höhe der Zeit angesiedelten Sprüchen auf wie: „Männer, legt euer Geld in Bier an, wo sonst gibt es so viele Prozente“. Tja, in Salzwedel muß mann eben an drei Tagen das bewältigen, wofür andernorts der Bierfreund sieben Tage Zeit hat. Im Rheinland wäre dergleichen undenkbar. Womöglich übt eine Mischung aus verkniffenem Protestantismus, ostdeutscher Kaufschwäche und daraus resultierendem Heimalkoholismus in dieser Gegend einen unheilvollen Einfluß aus auf die Kneipenöffnungszeiten. 

 Müßte es nicht "wie sonst" heißen, na egal.

Dies vorab zur allgemeinen Kneipensituation in Salzwedel. Hat man seine viertägige Kneipenabstinenz in Salzwedel durchgestanden, freut man sich wie das Kind auf die Weihnachtsbescherung auf den Donnerstag, es lockt das erste Gezapfte. Pech nur, wer dann seine Gelüste in der grünen Laterne befriedigen will, die hat sogar bloß Freitag und Sonnabend offen. Zum Glück war ich allmächtig und drehte die Erde einmal schnell um ihre eigene Achse, sodaß es jetzt Freitag wurde und ich mit Marco, der mich gerade hier oben besuchte, und außerdem meiner Freundin an diesem Abend eine Kneipentour durch alle drei Lokale unternehmen konnte. Tatsächlich hängt draußen, über der Eingangstür „Zur grünen Laterne“, eine Laterne, die ihr grünes Licht immer dann erstrahlen läßt, sobald das Etablissement doch einmal seine Pforten geöffnet hat. 

 

Das ist so sinnfällig wie anheimelnd und man möchte eintreten, auch wenn an der Fassade, wie Marco nun feststellte, ein Brauereischild von Veltins hängt. Schließlich gibt es in Deutschland Bier und es gibt Veltins. Noch machten wir uns Hoffnung, ob es eventuell doch eine lokale Biersorte zu trinken gäbe; wir sind eben Träumer, die bis zum Schluß an das Gute im Faß glauben. Ein Hausweißwein und zwei große Veltins brachte uns die Wirtin an den Tisch. Dazu aufs Haus ein Schälchen mit Erdnüssen. Wir wurden mit ausordentlicher Freundlichkeit behandelt, denn wir dürften seit längerem die einzigen Gäste hier gewesen sein, die die Wirtin, eine mütterlich freundliche Frau mit blonden Dreadlocks und rauchiger Stimme, deren Alter ich zielgenau zwischen 55 und 75 einordnen würde, nicht persönlich kennt. Ein großer Flachbildschirm hängt an der Wand und zeigt, was die zumeist recht kurzgeschorenen jungen Männer, die am Tresen sitzen, primär in ihrem Leben beschäftigen dürfte. Marco flüsterte: „Fußballhools“. „Wenn das mal ausreicht“, flüsterte ich zurück. Die Kneipe besaß noch den klassischen DDR-Charme und die Beleuchtung war so hell, daß es der Kerze auf unserem Tisch nicht bedurfte, die die Wirtin mit den Worten, „Ick hoffe, ihr habt nüscht jegen ne Duftkerze“, entzündete. Immerhin wurde geraucht, sodaß die Duftkerze halb so dufte blieb. Im Zuge dessen sich unser Bier leerte, füllte sich die Kneipe mit recht ähnlicher Klientel. Auch zwei propere Mädels kamen herein, und eine von denen hatte gar keine Hose an, dachte ich, als sie am Tresen einen der Typen tätschelte und ich ihr nacktes strammes Gesäß zu erblicken glaubte. Erst auf den unvermeidlichen zweiten beziehungsweise sechsten oder zweiunddreißigsten Blick begriff ich, daß es sich um eine spezielle Art von hauchdünner Leggins handeln mußte, fleischfarben bis weißlich, die so eng anlag, daß die kompletten Konturen und Falten ihres Hinterteils besichtigt werden konnten. Es war wohl besser, nun die Kneipe zu wechseln, denn das Bier war alle, und wir hatten ja noch zwei Kneipen vor uns.

In „Lutzes Butze“ war ich bereits im Jahr 2021 eingekehrt, als ich eine Lesung in Salzwedel hatte und auf der Suche nach einem Nachlesebier diese Kneipe in der Burgstraße ansteuerte, mich erinnernd, daß ich dort ja schon seit der Coronazeit 2020 einmal reinwollte, als meine katholische Freundin hier noch Stipendiatin gewesen war und wir damals die Kneipe mit dem Sinn für Assonanzen auf dem Vokal U nur in geschlossenem Zustand vorgefunden hatten. Wie blöd aber, daß nun Marco nicht wirklich Lutzes Butze erleben konnte in diesen Augusttagen 2023, sondern bloß Lutzes Biergarten. Der ist auf einer Freifläche gegenüber aufgebaut, und auch wenn es bereits empfindlich frisch allabendlich wird, denkt Lutz offenbar nicht daran seine Butze zu öffnen (er würde sie selbst Mitte September noch nicht geöffnet haben, das Bier ist dadurch immerhin so kalt wie meine Füße). Als ich 2021 Lutzes Butze betrat, schauten mich die Männer am Tisch draußen am Eingang an wie jemanden, der in einem guten Western gleich mit einer Schießerei zu rechnen hatte. Lutz, ein markanter Mann mit grauem Zopf, stand von dem Tisch mit seinen Biergesellen auf und zapfte nach meinen mit fester (Pieps)Stimme vorgebrachten Worten „Ein Bier bitte“ dasselbe unverzüglich. Danach beließ man mich am Tresen und wandte sich wieder den Gesprächen zu, die aufgrund dieser Störung kurz unterbrochen worden waren. Diese fein austarierte Stimmung aus Gastwirtlichkeit und Fremdenskepsis wollte ich Marco eigentlich zeigen, doch leider war eben nur der Biergarten geöffnet. Wir tranken hier pflichtschuldig unseren halben Liter, es war Radeberger aus dem Faß, auch nicht der Bringer, aber doch besser als Veltins und zogen dann weiter zum Grazy World. 

 

Das Grazy World ist der einzige Ort in Salzwedel, wo man an den drei offiziellen Kneipentagen zumindest noch um vier oder sogar um fünf ein Bier kriegt. Es gibt eine kleine Bühne, weil hier auch hin und wieder Bands auftreten. Die Kneipe könnte so ungefähr auch in Leipzig Connewitz stehen. Schummriges Licht, und die Musik von ausgesuchtem Rockgeschmack, geht jedenfalls nicht auf die Nerven. Das Bier kommt von der Brauerei Barre, also keine bundesweite Einheitsbiersoße. Sowohl das Pils als auch das Helle aus dem Hahn erfreut die Kehle. Und noch eine Beobachtung, es scheint die einzige Kneipe in Salzwedel zu sein, in der Menschen Bier trinken, die nicht schon seit etlichen Generationen in Deutschland leben. Man kommt einfach rein und fühlt sich akzeptiert bzw. man fällt nicht weiter auf und stört auch keine in sich geschlossene Trinkergemeinschaft. Welche Kneipe am besten ist, mag der Leser selber herausfinden, wir wissen es längst. Und Marco, ein Freund des gepflegten Whiskys, entdeckte zuletzt noch einen leicht torfigen Schotten, von dem er eine Runde spendierte, bevor wir, vom Trunke beseelt, nach Hause fanden.     


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