Backstein und Glocken

„Sind die Kirchenglocken noch so penetrant?“, fragte mich zu Beginn meiner Stipendiatenzeit auf Facebook eine Autorin, die hier auch schonmal Stipendiatin war. Offenbar eine geplagte Stipendiatin. Und ich gab ihr zur Antwort: „Wunderbar penetrant!“ Was wohlweislich nicht in die Ausschreibung des Stipendiums reingeschrieben wird, obwohl eine Vorwarnung an Leichtschläfrige und Hellhörige angebracht wäre, damit sie sich vorab wenigsten mit ausreichend Ohropax versorgen können, ist nämlich der Umstand einer ganztägigen Dauerumbimmelung durch die Glocken- und Zeitschläge der Marienkirche, deren schiefe Dachhaube wie der gekrümmte Stoßzahn eines riesigen Nashorns weitum in der Landschaft zu erblicken ist und deren Glockengeläut die akustische Zeitanzeige für die Bewohner in den umliegenden Fachwerkhäusern seit Jahrhunderten bedeutet.   

Blick aus dem Fenstergeviert des "Arbeitszimmers". 

Bekanntlich ist Schlafentzug eine Foltermethode und die Glocken der Marienkirche brauchen sich vor den Methoden in Guantanamo nicht zu verstecken. Da hilft nur eins. Man muß den Klang der Glocken lieben lernen, dann schläft man in der Stipendiatenwohnung geborgen und sanft umtönt vom viertelstündlichen Kling-Klang, dem kräftigeren Stundenschlag bis hin zum vollen Klangschwung der mächtigen Hauptglocken früh um Sieben, damit man nicht sein Tagwerk verschläft. Ich liebe den Glockenschlag inzwischen so sehr, daß ich mit ihm selig mein Tagwerk verpenne und fürchte, zurück in Halle, nicht mehr ohne ihn ins Bett und in den Schlaf zu finden. Wäre es möglich, das Klangspektakel eines ganzen Tages mit einem Mikrofon aufzuzeichnen und mit nach Halle zu nehmen? Hätte ein Salzwedeler Tonmeister die nötige Technik, damit ich nicht läutlos den Rest meines Lebens - und so fern der Marienkirche - verbleiben muß?

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