Rede-jeden-Tag-mit-einem-Salzwedeler-Challenge

In den letzten Jahren gab es immer wieder das Social-Media-Phänomen der Challenge (auf deutsch: Herausforderung, was gleich viel uncooler klingt, ich sage nur herausfordern und fördern). Dazu tun Menschen etwas sehr Seltsames, was sie normalerweise nicht tun würden, und fordern andere Menschen auf, es auch zu tun. Berühmt geworden ist die Eiswasser-Challenge. Menschen kippen sich einen Eimer Eiswasser über den Kopf und verbinden diesen ungesunden Vorgang mit dem guten Zweck, Spenden zu sammeln für den Kampf gegen die Nervenkrankheit ASL. Wenn es eines Beweises bedurfte, daß gute Taten für sich genommen ziemlich langweilig sind und eine blöde Begleittat nötig haben, um Aufmerksamkeit zu bekommen, dann wurde er damit erbracht.

Als notorischer Spielverderber bin ich für sowas nicht geeignet. Bei mir enden Kettenbriefe, landen Trinkspiele auf dem Trockenen und versanden Facebookalbernheiten, die darauf hinauslaufen, zehn Lieblingsbücher (Lieblingsschauspielerin, Lieblings...) zu nennen und dann fünf „Facebookfreunde“ zu nominieren, die auch ihre Lieblingsdingsbums nennen sollen und so weiter. Neben Corona eine der unangenehmsten viralen Ereignisse der letzten Jahre.

Nun habe ich mir aber selbst eine Challenge bzw. Herausforderung auferlegt, und zwar die „Rede-jeden Tag-mit-einem-Salzwedeler-Challenge“. Denn normalerweise würde ich sowas nicht tun. Was nicht am Salzwedeler liegt, sondern daran, daß ich mit Menschen nicht einfach so rede. Ich verlasse manchmal tagelang nicht mein Zimmer. Wenn man jedoch was über Salzwedel schreiben möchte (oder es sich zumindest vorgenommen hat), kann man nicht nur in seiner Stipendiatenwohnung bleiben.

Also: gesagt, geredet. Neulich fuhr ich am Pfefferteich entlang, einem Tümpel zwischen Tierpark und Stadtmauer. Hier stehen uralte Bäume und Bänke. Jugendliche kiffen dort gern in den Abendstunden, Paare flanieren und Gänse marschieren aus dem Teich zu den Wiesen hinüber und stehen dann da. Links sah ich die Gänse und rechts drei gutgenährte, ältere Salzwedeler auf einer Bank sitzen wie drei Hähne auf der Stange. Ich fuhr an ihnen vorbei und dachte im nächsten Moment, was für ein schönes Motiv für ein lustiges Foto. Was ich normalerweise nicht tun würde, wäre, jetzt anzuhalten, mich umzudrehen, und zu den drei Herren zurückzukehren, um sie anzusprechen, ob ich von ihnen und den Gänsen ein Foto schießen dürfe. Dank meiner Challenge tat ich nun genau das. Und was soll ich sagen, wenn man offen und freundlich auf die Menschen zugeht, bekommt man immer auch nicht das, was man will. Schade, sie mochten leider nicht Teil eines sehr lustigen Fotos werden. Warum eigentlich nicht? Sie meinten nur trocken, ich könne die Gänse fotografieren, aber nicht sie. Aus irgendwelchen Gründen hatten sie gar keine Lust darauf, sich von mir zu Objekten meiner Witzboldigkeit machen zu lassen, dabei hätten sie dank meines Fotos so schön albern aussehen können. Dann eben nicht. Ich fotografierte also nur die Gänse, obwohl das weniger als halb so lustig sein würde logischerweise. Die Gänse schnatterten mich an, klar, sie fragt natürlich wieder mal niemand, ob sie fotografiert werden wollten. Aber dann kam ich doch noch ins Gespräch mit ihnen, also mit den Männern. Nachdem ich mich als Stipendiat geoutet hatte. „Stipendiatenhaus, kenn ich nich, wo soll das sein, ach, da hinten, in der kleinen Straße mit dem Steinpflaster, nie gehört, da gab es mal ne Kneipe um die Ecke, der Wirt hat aber mit ner Pistole rumgeschossen“, sagte der eine. Ich erfuhr noch, daß bei Grabungen in seinem Garten archäologische Fundstücke herausgeholt wurden, die eigentlich alle mal in dem Turm da (er zeigt in Richtung Stadtmauer in Sichtweite der Bank, dort steht der sogenannte „Hungerturm“) ausgestellt werden sollten. Seine Frau habe auch ein Buch gemacht, mit alten Fotos über Salzwedel. Na bitte. Man muß nur den Mund aufmachen, schon kriegt man was zu hören. Ich bedankte mich, und radelte zurück in meine Stipendiatenkemenate. Ich hatte schließlich eine Kleinigkeit zu erzählen.

Hier noch das Beweisfoto. Jetzt muß man sich nur noch die drei eng auf die Bank gequetschten Männer auf der rechten Seite dazudenken. Lustig, oder?


 

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