Die ultimative Baumkuchenverkostung

Langsam wird es Zeit, mich ausführlich der wohl wichtigsten kulinarischen Spezialität, die man neben der Hochzeitssuppe hier zu sich nehmen kann, zuzuwenden. Nämlich dem weltberühmtem Tree cake, wie es im Englischen heißt oder Arbre Gateau auf Französisch bzw. Arvore Bolo auf Portugiesisch. Na gut, soweit hat er es nicht geschafft. Aber bis ins preußische Berlin zum König schon. Salzwedeler Baumkuchenbäcker waren Hoflieferanten. Ob sie es aber auch zum Kolumnistenlieferanten schaffen? 

 

Der Kuchen ist schon deshalb eine Besonderheit, weil er nicht im eigentlichen Sinne gebacken wird, sondern eher gegrillt. Insofern paßt er auch wieder ganz gut zum heutigen Berlin, wo man ihn als süßen Döner vermarkten könnte. Er dreht sich ebenfalls an einer Stange am offenen Feuer, mit dem Unterschied, daß der Dönerfleischkegel, wenn er gegrillt wird, immer schmaler wird, während der Baumkuchenkegel Lage um Lage zunimmt. Der Bäcker kleckert den beinah flüssigen, hochkalorischen Teig aus Ei, Butter, Zucker, Mehl über die sich am Feuer drehende Stange, und wenn die Lage leicht angebräunt ist, folgt die nächste Schicht. So entstehen die dunklen Streifen im Kuchen, die wie Wachstumsringe beim Baum anmuten.      

Es gibt derzeit noch drei Baumkuchenbäckereien in Salzwedel. Zuerst bin ich ins Café Kruse gegangen. Für einen besseren Vergleich und damit der Geschmack unverfälscht festgestellt werden kann, habe ich einen Rohling genommen. Das hat die Ehefrau von Donald Trump bei der Heirat zwar auch, in meinem Fall ist es aber ein Baumkuchen ohne Glasur und Schokoladenüberzug.

Bereits am Bahnhof werden wir durch ein meterhohes Schild auf einem Wasserturm von der Existenz dieses Cafés in Kenntnis gesetzt. Doch das ist erst der Anfang. Auf Schritt und Tritt erblicken wir die Reklametafeln von Café Kruse. Es bedürfte einer ganz besonderen Anstrengung, um die mindestens tausend gelbroten Reklametafeln mit der Aufschrift „Café Kruse“ samt Pfeilen, in welcher Richtung das Café Kruse liegt, und präzisen Meterangaben, wie weit es noch bis zum Café Kruse ist, in der Innenstadt von Salzwedel zu übersehen. Selbst ein blinder Maulwurf mit Kürbissen auf den Augen wäre noch in der Lage, daß Café Kruse zu finden. Hier hat jemand Reklame mal tatsächlich verstanden. Mehr ist einfach mehr. Wer dann noch nicht komplett caféverkrust ist, dem ist mit Werbung nicht mehr beizukommen. Ich wäre deshalb auch schon fast nicht hineingegangen, ins Café Kruse, denn bei soviel Werbeaufwand denke ich mir, die haben es wohl nötig. Wie schlecht muß deren Baumkuchen sein, daß sie soviel Werbung machen müssen, um Leute in ihren Laden zu locken? Ich bin trotzdem rein, hier meine Einschätzung des Kuchens: 

Fett, gehaltvoll, beinah feucht. Sehr buttrig und eiig. Fast schmelzig auf der Zunge. Textur fest. Doch Vorsicht, ohne Lasur kann schnell Schimmel ansetzen, mußte ich feststellen. Auf einen zügigen Verzehr weist die Bäckerei allerdings selber hin. Konservierungsstoffe werden offenbar nicht verwendet. Fazit: Geschmacklich ist der Eindruck sehr gut. Der Preis liegt bei 11,80 Euro für 0,274 kg (43,10 Ero fürs Kilo).

Nach diesem Café Kruse Overkill muß man den nächsten Baumkuchenanbieter wiederum suchen. In der Kleinen St. Ilsen Straße, einem unscheinbaren Fabrikverkauf ohne Brimborium, finde ich den von den Salzwedeler Baumkuchenbetrieben Bosse hergestellten Baumkuchen, den man auch bei den Backständen der Salzwedeler Supermärkte erwerben kann. Ich lege einen zwanzig Euro Schein hin. Die Verkaufsfrau ist nett, aber ulkig. Sie spricht zu mir in der dritten Person wie früher im 18. Jahrhundert: „Hat er noch 10 Cent, dann könnte ich ihm 5 Euro rausgeben.“ Hatte er. Und zu Hause probierte er.

Weniger fett, etwas trockener, Textur fest, Geschmacklich gut, Preis: 15,10 Euro für 0,352 kg (42,90 Euro fürs Kilo). Fazit: Wenn man es etwas weniger fettig mag, kann man hier gerne zugreifen. 

Für den dritten Baumkuchen muß man etwas hinausfahren, vor die Tore der Stadt, in die Perver Vorstadt. An der Straße, in einem kleinen, hübsch mit alten Möbeln hergerichteten Café, bekomme ich den Baumkuchen der Bäckerei Hennig, die damit wirbt, die erste Salzwedeler Baumkuchenfabrik zu sein. Hat nicht auch schon das Café Kruse damit geworben? Bevor ich mich in den komplizierten Genealogien verzettele, erwerbe ich auch hier einen Rohling und radele zurück in meine Probierstube. 

Textur fluffig, der fluffigste von den dreien. Wenn man mit dem Finger reindrückt, gibt er nach wie Schaumgummi. Wie der vorherige ist dieser nicht ganz so fett und feucht wie bei Kruse. Dafür der teuerste. 0.378 kg für 20,22 Euro (53,50 Euro fürs Kilo). Für den Preis gibt es einen Nachgeschmack extra, den die beiden anderen nicht haben. Schwer einzuordnen. Vielleicht eine Art Mandelaroma. Fazit: Geschmacklich geht es hier nochmal in eine andere Richtung.

Gesamturteil: Wie Paris mit seinem Apfel gegenüber den drei griechischen Göttinnen kann auch ich mit meinem Geschmacksurteil nur die Rache der beiden Verschmähten auf mich ziehen. Trotzdem will ich mich nicht drücken und bekennen, daß Café Kruse für mich der Testsieger ist. Da ich das hier nun schreibe als Stipendiat und Schriftsteller, bereit, den Kopf hinzuhalten und dieses Urteil durchaus in einem meiner nächsten Bücher auch für die Nachwelt zu wiederholen, erhoffe ich mir von Café Kruse für diese Werbung eine kostenlose Zusendung eines Baumkuchens pro Monat an mich bis zum Lebensende.

Links Café Kruse, Mitte Bäckerei Hennig, rechts Baumkuchenbetriebe Bosse

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