1000 Meisterwerke, Kunst im öffentlichen Salzwedel I

Die Gottesanbeterin neben dem Gotteshaus

 
 

Unweigerlich wird der aufmerksame Besucher Salzwedels auf dieses ungewöhnliche Metallkunstobjekt neben der entweihten Mönchskirche, die inzwischen als Ort für konzertante Darbietungen dient, stoßen. Hoffentlich sich nicht direkt an ihm, denn seine rostige Scharfkantigkeit verspräche eine veritable Blutvergiftung, falls man sich eines der Teile des Kunstwerks nur tief genug in den Körper rammelte. Da sei Gott jedoch vor! Das Kunstobjekt, das dem Betrachter sich leicht als Gottesanbeterin zu erkennen gibt, zusammengeschweißt aus diversen rostbraunen Metallresten, trägt nämlich - und man fragt sich sicher wozu - am Kopf deutlich sichtbar ein Solarmodul. Was möchte der Künstler uns damit sagen? Will er uns auf die Notwendigkeit der erneuerbaren Energien hinweisen? Auf den Klimawandel, der nun auch Gottesanbeterinnen in unseren Breitengraden wahrscheinlicher macht? Wie ich mir habe sagen lassen, ging von der metallenen Gottesanbeterin mittels eines kleinen Lautsprechers ursprünglich einmal ein sensorgesteuertes Drohgeräusch aus, sobald man sich ihr annäherte, was den nützlichen Effekt gehabt haben mochte, daß man sich nicht unachtsam auf sie zubewegte - nachts und besoffen unter Umständen - und dann möglicherweise verletzt hätte. Die Energie für dieses Geräusch wiederum sollte das Solarmodul spenden. Leider funktionierte das bald nicht mehr. Auch das mag gewissermaßen ein kunstgewordenes Sinnbild für den Untergang der Solarindustrie in Ostdeutschland sein, dank der Entscheidung einer CDU geführten Regierung. Nun steht die Gottesanbeterin da, tief in der sachsen-anhalteschen Provinz mit einem nichtfunktionierenden Solarbrett vor dem Kopf, und sieht, man kann es nicht anders sagen, damit doch auch ein bißchen bescheuert aus. Es sah natürlich auch schon bescheuert aus, als das Solarmodul noch funktionierte, nun jedoch sieht es einfach nur noch bescheuert aus. Aus der bedrohlich wirkenden, überdimensionierten Gottesanbeterin wird ein verhohnepipeltes Insekt.

Kontrastierend zur „Gottesanbeterin“ findet sich noch ein weiteres Kunstobjekt in unmittelbarer Nähe zur Mönchskirche, nämlich das „Trafokastenchamäleon“. 

 

Ein unbekannter Meister (vermutlich ein Malermeister) schuf dieses illusionistische Kunstwerk, dem es gelingt, die Erfordernisse der modernen Energieversorgung vor dem Kirchenbackstein einer ehemals religiösen Sinnversorgung in die Unsichtbarkeit zu rücken. Das Unsichtbarwerden des Trafokastens spiegelt symbolhaft das Unsichtbarwerden der Kirche selbst. Dem Betrachter drängt sich an dieser Stelle geradezu das Menetekel des Verschwindens auf, ein Bedeutungsverlust, den das Religiöse in der post-post-postmodernen Gesellschaft krisenhaft ereilt hat. Eine weitere Interpretation läßt freilich auch den Schluß zu, daß der Trafokasten einfach nur sehr unvorteilhaft vor dem Bachsteingemäuer herumstand. Wie muß sich aber ein Trafokasten fühlen, dessen Identität als Trafokasten nicht nur nicht gewürdigt, sondern durch Übermalung seiner Identität sogar beraubt wird, obwohl er für das Funktionieren der Infrastruktur einer Stadt wie Salzwedel so unerlässlich ist. Darf Kunst alles? Und wie steht es mit der moralischen Verantwortlichkeit des Künstlers für das von ihm geschaffene Kunstwerk? Diese Fragen werden uns weiterhin beschäftigen, wenn es wieder heißt: 1000 Meisterwerke, Kunst im öffentlichen Salzwedel.   

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